
Dieser Fachbeitrag von ist in der interdisziplinรคren Zeitschrift Strassenverkehr, Ausgabe 2/2023, erschienen. Wyssmann LLC unterstรผtzt das Pilotprojekt der Designwerk Technologies AG bei der Dissemination.
Hintergrund des Projekts
Der Personen- und Gรผterverkehr steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Innerhalb der Europรคischen Union entfรคllt rund ein Viertel der Emissionen des Strassenverkehrs auf Trucks. Sie entstehen durch die rund 6,6 Millionen Lastkraftwagen, die tรคglich im Einsatz sind. Diese transportieren 76,7 Prozent aller Frachten an Land. Sollen die Klimaziele bis 2030 erreicht werden, mรผssen auch die CO2-Emissionen des Schwerlastverkehrs europaweit reduziert werden.
Auch in der Schweiz fรคllt ein wesentlicher Anteil des CO2-Ausstosses auf den Strassenverkehr zurรผck. Der Anteil des Verkehrs am Schweizer CO2-Ausstoss belรคuft sich auf rund 40 Prozent. Davon sind rund 15 Prozent auf den Schwerlast- und den Busverkehr zurรผckzufรผhren. Dabei liessen sich gemรคss der Designwerk Technologies AG durch die Elektrifizierung eines einzelnen Lkw mit einer Jahreslaufleistung von rund 60โ000 Kilometer je nach Szenario jรคhrlich zwischen 50 und 70 Tonnen CO2 einsparen.
Eine Elektrifizierungswelle, wie sie im Personenverkehr bereits im Gange ist, kรถnnte folglich zu einer substanziellen Senkung unserer Schadstoffemissionen beitragen. Allerdings gestaltet sich die Elektrifizierung im Langstrecken- und Schwerlastverkehr anspruchsvoller.
Aktuelle Marktsituation und verfรผgbare Technologien
Wรคhrend sich im Kurz- und Mittelstreckenverkehr viele Logistikszenarien durch E-Lkw abdecken lassen, sind im Schweizer Langstreckenverkehr kaum batterieelektrische Transportfahrzeuge im Einsatz. Auch im Dauer- oder Schichtbetrieb scheinen E-Lkw derzeit zu unattraktiv. Begrรผndet wird das mit der begrenzten Batteriekapazitรคt und der begrenzten Ladeleistung.
Dazu ein Gedankenspiel: Um einen konventionellen 40-Tonnen-Diesel-Lkw fรผr einen Langstreckeneinsatz bis zu 1โ000 Kilometer ohne Zwischenladung durch einen E-Lkw zu ersetzen, mรผsste sich dessen Batteriekapazitรคt auf bis zu 1โ360 kWh belaufen. Die Batterien hรคtten in diesem Fall und unter Berรผcksichtigung heutiger Energiedichten ein Gesamtgewicht von rund 9 Tonnen. Ein kompletter Ladezyklus wรผrde mit den schweizweit schnellsten Ladestationen rund 5,5 Stunden dauern. Der Einsatz elektrischer Lkw mit derartigen Batteriekapazitรคten ist aufgrund der damit verbundenen Anschaffungskosten, Einbussen bei der Nutzlast und der geringeren Einsatzbereitschaft in der Regel nicht zweckmรคssig. Die Kapazitรคt der derzeit in Europa erhรคltlichen E-Lkw belรคuft sich รผblicherweise auf weniger als die Hรคlfte dieses hypothetischen Szenarios.
Zu bedenken gilt es auch, dass geringer dimensionierte Batterien die CO2-Bilanz der Fahrzeuge entlasten. Fรผr einen Wandel in den jeweiligen Segmenten ist deshalb besonders leistungsstarke Ladeinfrastruktur erforderlich. Eine solche wรผrde es erlauben, die Batterien bereits wรคhrend kurzer Pausen oder bei Zwischenstopps zu laden. Die dafรผr notwendige Infrastruktur unterscheidet sich allerdings von der fรผr Pkw.
Die leistungsfรคhigsten heute am Schweizer Markt verfรผgbaren Ladesysteme sind mit manuellen Stecksystemen (CSS, Typ 2) ausgerรผstet und fรผr Ladeleistungen von bis zu 350 kW ausgelegt.

Mit einem leistungsfรคhigeren Ladesystem im Megawattbereich liessen sich Ladezeiten deutlich verkรผrzen. Der Einsatz einer solchen Lรถsung ist auch fรผr Baumaschinen oder Schiffe denkbar. Die entsprechende Infrastruktur kรถnnte so die Wettbewerbsfรคhigkeit batterieelektrischer Nutzfahrzeuge sowie Maschinen erhรถhen. Zudem wรคren sie dann fรผr neue Logistikszenarien im Dauer- und Schichtbetrieb einsetzbar. Die Kehrseite: Es ist zu berรผcksichtigen, dass Ladevorgรคnge mit einer derartigen Leistung zu erheblichen Lastspitzen fรผhren kรถnnen. Deshalb gilt es, negative Auswirkungen auf das Stromnetz zu verhindern.
Motivation zur Durchfรผhrung des Projekts
Eine Ladestation der Megawatt-Klasse wird derzeit bei der Designwerk Technologies AG in Winterthur entwickelt. Das partnerschaftliche Demonstrationsprojekt soll den Langstreckeneinsatz von Elektro-Lastkraftwagen ermรถglichen und das Stromnetz entlasten. Technische Grundlage ist ein neuer Ladestandard fรผr schwere Nutzfahrzeuge.
Die Designwerk Technologies AG mit Sitz in Winterthur treibt als Anbieterin von E-Mobilitรคtslรถsungen und -produkten in den Bereichen Fahren, Laden und Speichern die Dekarbonisierung voran. Der Schwerlastverkehr steht dabei im Fokus. Die Firma produziert seit mehreren Jahren kundenspezifische E-Lkw in den Bereichen Recyclinglogistik, Baulogistik sowie Verteil- und Landwirtschaftslogistik. Ihre Reichweite belรคuft sich im Realeinsatz auf bis zu 500 Kilometer. Die Nachfrage nach den batterieelektrischen Lkw wรคchst kontinuierlich. Auch seitens Schifffahrt kรผndigt sich Interesse am Betrieb von elektrifizierten Personen- und Autofรคhren auf Schweizer Seen an. Sowohl die Kundenanfragen als auch die Ergebnisse der Analysetรคtigkeit des Unternehmens deuten auf einen wachsenden Bedarf an batterieelektrischen Nutz- und Sonderfahrzeugen mit hoher Reichweite und langer Betriebsdauer hin. Mit dem Projekt Megawatt-Batterie-Ladesystem fรผr schwere Nutzfahrzeuge will die Unternehmung gemeinsam mit Partnern dieser Situation Rechnung tragen. Deshalb zielt sie auf die Bereitstellung der notwendigen Ladetechnik ab, um so die Elektrifizierung schwerer Fahrzeuge zu ermรถglichen. Gleichzeitig will die Designwerk Technologies AG dazu beitragen, dass der dafรผr notwendige Ladestandard innerhalb der Schweiz non-proprietรคr und konform mit bereits bestehenden Grundlagen der laufenden Normierung ist.
Die wissenschaftliche Begleitung dieser technischen Entwicklungen wird vom Bundesamt fรผr Energie (BFE) unterstรผtzt. Das BFE fรถrdert mit seinem Pilot- und Demonstrationsprogramm (P+D-Programm) die Entwicklung und Erprobung neuer Technologien, Lรถsungen und Ansรคtze im Bereich der sparsamen und effizienten Energienutzung, der Energieรผbertragung und
-speicherung sowie der Nutzung erneuerbarer Energien. Das P+D-Programm positioniert sich dabei an der Schnittstelle zwischen Forschung und Markt und zielt darauf ab, den Reifegrad neuer Technologien zu erhรถhen, um sie letztlich zur Marktreife zu bringen.
Erklรคrte Ziele des Projektteams
Im Rahmen des Projekts wird ein Megawatt-Batterie-Ladesystem-Prototyp mit einem manuellen und international konformen Stecksystem entwickelt, gebaut, getestet und erprobt.
Das System soll die Schnellladung schwerer E-Trucks innert 45 Minuten ermรถglichen. Das Gesamtsystem findet in einem mobilen Container Platz, was den flexiblen Einsatz ermรถglicht. Das Steckersystem orientiert sich dabei an weltweiten Standards. Das batteriegestรผtzte System soll sich zudem netzdienlich verhalten kรถnnen und den Einsatz sogenannter Second-Life-Batterien ermรถglichen. Die Puffer sollen dabei sowohl Spitzenlasten kappen als auch Lastverschiebungen erlauben. Dies soll zur Entlastung der Netze und der Senkung der Netzanschluss sowie -energiekosten dienen.
Neben der technischen Machbarkeit wird mit dem Projekt die wirtschaftliche und รถkologische Zweckmรคssigkeit des batterieelektrischen Langstreckenschwerverkehrs untersucht. Begleitend zum Projekt werden deshalb sowohl Wirtschaftlichkeits- als auch Nachhaltigkeitsanalysen durch involvierte Fachhochschulen durchgefรผhrt. Das Gesamtsystem soll dem wirtschaftlichen Vergleich mit konventionellen Energietransfersystemen mindestens standhalten. Gleichzeitig sollen Transportunternehmen und auch die Gesellschaft als Ganzes รผber die Vorteile der E-Mobilitรคt im Schwerlastverkehr informiert werden, um zum Bewusstsein fรผr neue Lรถsungen beizutragen. Das Systemdesign muss dabei die Gegebenheiten der Schweizer Netzinfrastruktur berรผcksichtigen.
Funktionsprinzip des Megawatt-Ladesystems
Die Batteriepuffer sowie die Leistungselektronik und die dazugehรถrende Elektrik- und Elektronik-Hardware sind in einem Container eingebaut und vor รคusseren Einflรผssen geschรผtzt. Der nach UN38.3 transportierbare Ladecontainer beinhaltet Batteriepakete mit einer Speicherkapazitรคt von insgesamt 1โ800 Kilowattstunden. Die Entladeleistung belรคuft auf bis zu 1,8 Megawatt, respektive auf bis zu 2,1 Megawatt unter Einbezug des Netzanschlusses. Optional sollen zwei Ladepunkte mit je einem MCS- und einem CCS-Stecksystem implementiert werden, um die Abwรคrtskompatibilitรคt zu gewรคhrleisten.

Grafik: Rendering Megawatt-Batterie-Ladesystem fรผr schwere Nutzfahrzeuge
Design des Gesamtsystems und technische Spezifikation
Der Megawatt-Batterie-Ladesystem-Prototyp ist modular aufgebaut und kann den lokalen Gegebenheiten angepasst werden. Er besteht aus den folgenden Hauptkomponenten:
- Netzanschluss
- DC-Zwischenkreis
- Ladeschnittstellen A sowie B mit MCS- und CCS-Stecksystem
- Energieverteilung
- Batteriespeicher
- Interne Spannungsversorgung
- Steuerung
- Batterieheizung und -klimatisierung
Die Besonderheit und der Innovationsschwerpunkt liegen insbesondere beim Stecksystem.
Diesbezรผglich stehen die Entwicklerinnen und Entwickler vor mehreren Herausforderungen. Dazu gehรถren etwa die Auslegung der gesamten Elektrotechnik, die Ladekommunikation sowie die Konstruktion und das Ladekonzept der Nutzer an sich.
Neuer Ladestandard namens MCS
Um die internationale Operabilitรคt und Kompatibilitรคt von Ladestationen und Fahrzeugen zu gewรคhrleisten, implementieren Fahrzeughersteller Ladestandards.
Zwei davon โ darunter der sogenannte Combined Charging Standard CCS, und der Megawatt Charging System Standard MCS, stammen von der Charging Interface Initiative e. V., kurz CharIN. Die Non-Profit-Organisation steht allen Unternehmen im Bereich der Elektromobilitรคt offen. Sie ist eine Plattform fรผr die industrieรผbergreifende Zusammenarbeit von Lieferanten und Herstellern.
Die Task Force Megawatt Charging System wurde 2018 ins Leben gerufen. Sie reprรคsentiert die gesamte Wertschรถpfungskette der Schwerlastfahrzeug-Industrie. Sie ist integraler Bestandteil der Fokus-Gruppe Charging Connection, welche die Harmonisierung und Weiterentwicklung der CCS-Ladetechnologie im Bereich der erweiterten Anwendungen (Elektroflugzeuge, Fรคhren und andere Wasserfahrzeuge) vorantreibt. Das neue MCS-Ladestecksystem soll sich weltweit etablieren. Mit der frรผhzeitigen Standardisierung kรถnnen die Skalierbarkeit und der flรคchendeckende Einsatz des Systems gefรถrdert werden. Zurzeit ist unter Federfรผhrung der Task Force ein entsprechender Normungsentwurf fรผr das Laden mit Leistungen im Megawattbereich in Erarbeitung. Dabei handelt es sich um IEC 62196-23-3: Electric vehicle conductive charging system โ DC electric vehicle supply equipment for Me-gawatt charging systems.
Stand des Projekts und Ausblick
Systementwicklung und Realisierung
Im Zuge der Systementwicklung wurden die Anforderungen an das Megawatt-Batterie-Ladesystem definiert und analysiert. Damit ist die mechanische, die elektrische sowie die sicherheitstechnische Konzeption abgeschlossen. Erstellt sind auch die Konzepte zur Steuerung, zum Thermomanagement sowie zum Testing der Anlage. Mit der Realisation des Prototyps hat die Designwerk Technologies AG in der zweiten Jahreshรคlfte 2022 begonnen. Wesentliche Teile der Leistungselektronik, des Speichers und der Kรผhlung sind mittlerweile verbaut.
Aktuelle Herausforderungen
Die aktuellen Herausforderungen im Projekt sind geradezu typisch fรผr die Industrie, in der das Projektteam tรคtig ist: Bei der Lieferung der Komponenten zum Bau der Pilotanlage kam es zu verschiedenen Lieferverzรถgerungen seitens Lieferanten. Diese waren unter anderem auf die COVID-19-Pandemie sowie die Chip-Krise zurรผckzufรผhren. In einem Fall wurde ein Sublieferant gar Opfer einer Cyber-Attacke. Gleichzeitig sind qualifizierte Fachkrรคfte im entsprechenden Gebiet knapp. Die Grรถsse des Entwicklerteams bleibt deshalb รผberschaubar.
Ausblick
Das Demonstrationsprojekt ist derzeit im Gang. Nach der Inbetriebnahme sind zunรคchst Tests bei Murg Flums Energie geplant. Dabei werden Netzrรผckwirkungen, das Potenzial beim Lastmanagement sowie der Eigenverbrauchsoptimierung und die Anbindung an den Regelenergiemarkt untersucht.
Seitens der Berner Fachhochschule BFH wird anhand von zyklischen Alterungsmessungen analysiert, wie sich das Laden auf die Batterien auswirkt und wo die รถkonomische Nutzschwelle des Systems liegt. Die Ostschweizer Fachhochschule OST unterstรผtzt zudem beim Thermomanagement, bei den Energiemarktanalysen sowie bei der รkobilanzierung des Systems.
Zudem erfolgen Langzeit-Praxistests in Zusammenarbeit mit der Galliker Transport AG sowie der Kรคppeli Logistik AG. Hier wird sich kรผnftig zeigen, wie praxistauglich das MCS-Stecksystem respektive die Containerlรถsung ist.
Unumstรถsslich scheint hingegen bereits heute die Erkenntnis, dass bei der Erreichung der Klimaziele dem Schwerverkehr eine รผberaus wichtige Rolle zukommt. Die Entwicklung neuer, leistungsstarker Ladestationen trรคgt diesem Umstand Rechnung und dรผrfte damit ein entscheidendes Puzzleteil darstellen, um das Gesamtbild einer emissionsarmen beziehungsweise emissionsfreien Transportwirtschaft zu erreichen.